9

Mit einem leisen Knurren sah Kade Alex nach, die in Luftlinie durch die Kneipe praktisch zum Ausgang rannte.

Er hatte ihr ein wenig zu schwer zugesetzt. In der kurzen Zeit, die er mit ihr verbracht und sie beobachtet hatte, hätte er eigentlich wissen sollen, dass die Taktik nicht funktionieren würde. Alexandra Maguire wurde nur störrischer, wenn man sie zu hart in die Mangel nahm.

Und dann war er auch zu allem Überfluss noch so blöd gewesen, sie anzufassen.

Er hatte einfach nicht widerstehen können, und ein Teil von ihm nahm, noch während es geschah, zur Kenntnis, dass sie die Berührung zu genießen schien.

Zumindest bis zu dem Augenblick, als dieser schmierige Typ mit dem erloschenen Blick und der schmalen, vogelähnlichen Nase angekommen war und sie unterbrochen hatte. Kade hatte nicht übel Lust, den Kerl allein schon dafür in den Boden zu stampfen, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass der Kiffer auch derjenige gewesen war, der visuelle Beweismittel einer Vampirattacke ins Internet gestellt hatte.

Was Alex anging, hatte Kade die Angst in ihren Augen gesehen, als er sie ausquetschte. Sie war zu verängstigt gewesen, um die Worte tatsächlich auszusprechen, aber er war sicher, dass er sie fast so weit gehabt hatte, sich ihm völlig zu öffnen und ihm alles zu erzählen, was sie wusste. Und das eiskalte Gefühl in seinen Eingeweiden sagte ihm, dass das, was sie wusste, viel weiter zurückreichte als diese Vampirattacke auf die Familie in der Wildnis.

Konnte sie etwas über die Existenz des Stammes wissen?

Hatte sie schon einmal einen seiner Spezies gesehen?

Herr im Himmel, was, wenn sie da draußen bei der Ansiedlung der Toms mehr als nur einen unerklärlichen Fußabdruck gefunden hatte?

Wenn sie Informationen besaß, die Seth mit den Morden in Verbindung brachten - oder die ihn entlasteten, so gering diese Hoffnung auch war -, musste Kade es wissen, und zwar sofort.

Und wenn sie tatsächlich etwas über die Existenz des Stammes wusste, würde es draußen in den Schatten des nur schwach beleuchteten Parkplatzes viel einfacher sein, ihre Erinnerung zu löschen als mitten in einer überfüllten Kneipe.

Er stapfte ihr nach, nach draußen auf den schneebedeckten Parkplatz. Sie hatte den kurzen planierten Tundrastreifen schon halb überquert und ging zügig an den paar Pick-ups und dem halben Dutzend Schneemobilen vorbei, die vor Petes Kneipe geparkt waren. Sie kam auch nicht aus dem Tritt, als hinter Kade die Türglocke schepperte. Er sprang von der niedrigen überdachten Veranda und rannte ihr nach.

„Laufen Sie immer weg, wenn Sie Angst haben?“

Das brachte sie abrupt zum Stehen. Sie fuhr mit einem seltsamen Gesichtsausdruck herum, offenbar hatte er mit seiner Bemerkung einen Volltreffer gelandet. Aber dann blinzelte sie, und der Gesichtsausdruck war fort und wich einem Blick aus schmalen Augen. Störrisch legte sie den Kopf zur Seite. „Geben Sie eigentlich nie auf, auch wenn Sie wissen, dass Sie keine Chance haben?“

„Nie“, sagte er wie aus der Pistole geschossen.

Sie murmelte einen besonders deftigen Fluch und ging weiter auf die Straße zu. Mit ein paar langen Schritten hatte Kade sie eingeholt.

„Sie wollten mir vorhin in der Kneipe etwas sagen, Alex. Etwas Wichtiges, das ich wirklich wissen muss. Was ist es?“

„Verdammt noch mal!“ Sie wirbelte zu ihm herum, Wut blitzte in ihren braunen Rehaugen auf. „Sie sind schon unmöglich, wissen Sie das?“

„Und du bist wunderschön.“

Er wusste nicht, warum er das sagte, nur dass er den Gedanken schwer für sich behalten konnte, so, wie sie jetzt vor ihm stand, windzerzaust und wild, die Wangen vom Kuss der arktischen Kälte gerötet und mit zerzaustem blondem Haar, das ihr Gesicht unter dem Pelzrand ihrer Anorakkapuze umrahmte.

Wenn Brock oder einer der anderen Krieger in Boston ihn eben gehört hätte, würden sie denken, dass er mit dieser Frau nur spielte, sie mit Schmeicheleien bezirzte, um von ihr zu bekommen, was er haben wollte. Kade wollte selbst glauben, dass das der Grund für seine unbeholfene Bemerkung war. Aber als er Alexandra Maguire ansah, ihre natürliche Schönheit erleuchtet vom blassen Mondlicht und den bunten Neonlichtern im Barfenster hinter ihnen, wusste Kade, dass er hier nicht einfach nur ein Spiel spielte. Er begehrte sie - und zwar leidenschaftlich, und wollte, dass sie verstand, dass er nicht ihr Feind war.

Zumindest nicht direkt.

Ihre Empörung verflog und wich Verwirrung, und sie trat einen Schritt von ihm zurück. „Ich muss jetzt wirklich gehen.“

Kade hob die Hand, konnte sich aber gerade noch davon abhalten, sie unsanft zurückzuhalten. „Alex, was immer du für ein Geheimnis hütest, du kannst es mir sagen. Ich will dir einen Teil dieser Last abnehmen. Lass mich dich beschützen, was immer es ist, vor dem du solche Angst hast.“

Sie schüttelte den Kopf, ihre hellbraunen Augenbrauen waren gerunzelt. „Ich brauche Sie nicht. Ich kenne Sie nicht mal. Und wenn mir nach Reden ist, habe ich Freunde, mit denen ich das kann.“

„Aber du hast es keinem von ihnen erzählt, nicht wahr.“ Es war keine Frage, und das wusste sie genauso gut wie er. „Es gibt keine einzige Person in deinem Leben, die weiß, was du da unter Verschluss hältst. Sag mir, ob ich mich täusche.“

„Hören Sie auf, murmelte sie, ihr Atem gefror in der kalten Luft, ihre Stimme klang leise und spröde. „Seien Sie einfach ... ruhig. Lassen Sie mich in Ruhe.

Sie wissen gar nichts über mich.“

„Tut das denn überhaupt irgendwer, Alex?“

Sie wurde so reglos und still, dass Kade sicher war, dass er schon wieder eine Grenze überschritten hatte und sie sich noch weiter von ihm entfernen würde.

Aber sie drehte sich nicht um und ließ ihn stehen. Weder beschimpfte sie ihn, noch schlug sie nach ihm, noch schrie sie nach jemandem aus Petes Kneipe, um es für sie zu tun. Sie stand da und sah in seine Augen, und ihr Schweigen wirkte so verloren, so gebrochen.

Seine Kriegerpflicht, wichtige Informationen zu sammeln und potenzielle Sicherheitsrisiken für den Orden zu eliminieren, kollidierte mit dem plötzlichen Drang, diese Frau zu beschützen, die so nachdrücklich erklärte, das nicht nötig zu haben.

Kade trat näher an sie heran und berührte sie wieder. Streifte nur ganz leicht mit den Fingerspitzen eine goldene Haarsträhne, in der sich die winterliche Brise gefangen hatte.

Sie rührte sich nicht. Ihre Lippen waren geöffnet, aber ihr Atem kam nicht mehr keuchend, und so nah bei ihr konnte Kade das Rauschen ihres Blutes hören, das durch ihre Adern pulsierte, als ihr Herz heftiger zu schlagen begann.

„Du hast mich vorhin in der Bar gefragt, ob ich einer von den guten oder bösen Jungs bin“, erinnerte er sie. Seine Stimme war tief und rau, als er sich langsam näher an sie heranschob und ihm bewusst wurde, wie die Hitze ihres Körpers sich mit seiner mischte. Langsam schüttelte er den Kopf. „Das ist nicht meine Entscheidung, Alex. Vielleicht wirst du merken, dass ich etwas von beidem habe. Für mich ist die Welt voller unterschiedlicher Grauschattierungen.“

„Nein ... so kann ich nicht leben“, sagte sie, und ihre Stimme klang nackt vor Aufrichtigkeit. „Es würde alles viel zu kompliziert machen. Zu schwer zu wissen, was wahr ist und was nicht. Zu schwer zu wissen, was real ist.“

„Ich bin real“, sagte Kade und hielt ihren Blick, als er mit den Fingern ihr Kinn nachfuhr. „Und du fühlst dich für mich auch sehr real an.“

Als er sie berührte, holte sie leise Atem, und als sich ihre Lippen wieder öffneten, drückte Kade impulsiv seinen Mund darauf. Der Kuss elektrisierte ihn sofort.

Sanft hielt er ihr Gesicht in seiner Hand, streifte ihre Lippen mit den seinen und genoss die weiche, nasse Hitze ihres Mundes. Alex küsste ihn offen zurück ... so verdammt gut. Das Gefühl ihres Körpers, der sich gegen seinen presste, jagte ihm einen feurigen Blitz durch die Adern, versengte jedes Nervenende mit dem Gefühl ihrer schmalen Rundungen und ihrem warmen Duft nach Wind und Wald.

Jetzt dachte er nicht mehr daran, Informationen zu sammeln oder ein stilles Plätzchen zu finden, wo er ihre Erinnerungen löschen konnte, sobald er von ihr erfahren hatte, was er wissen wollte.

Was er jetzt fühlte, hatte auch nichts damit zu tun, ihr Trost oder Schutz anzubieten.

Alles, was er spürte, war seine Gier nach dieser Frau, sein Begehren nach ihr war verstörend intensiv.

Und einen Hunger, der verzehrender wurde, je länger er Alex in seinen Armen hielt.

Mit einem einfachen, ungeplanten Kuss hatte sie ihn mit einer gewaltigen Woge von Lust und Blutdurst überflutet. Seit seiner Ankunft in Alaska hatte er keine Nahrung mehr zu sich genommen - ein nachlässiges Versäumnis, das jetzt scharfe Krallen in ihn schlug und ebenso drängend gestillt werden wollte wie das heiße, harte Pulsieren zwischen seinen Beinen.

Irgendwo in seinem vom Hunger vernebelten Hirn hörte Kade das Rumpeln eines Fahrzeuges, das sich dem Parkplatz näherte. Er wollte das tiefe Dröhnen des Geländewagens ignorieren, aber dann rief eine Männerstimme aus der Dunkelheit.

„Alex? Alles in Ordnung da drüben?“

„Scheiße“, zischte sie und entzog sich ihm. „Das war ein Fehler.“

Kade sagte nichts, als sie einige Schritte zurückwich, aber das Sprechen wäre ihm sowieso schwergefallen, jetzt, wo seine Fänge seinen Mund ausfüllten. Sie sah ihn nicht an - was Kade nur recht war, denn seine Augen hatten sich von ihrem normalen Hellgrau zum hellen bernsteinfarbenen Schein transformiert, der ihn als Angehörigen des Stammes verriet. Ein Blick in seine Augen hätte genügt, um diesen schlecht durchdachten Impuls, sie zu küssen, zu einer Katastrophe von riesigen Ausmaßen zu machen.

„Das hätte ich Ihnen nie erlauben dürfen“, flüsterte sie, dann drückte sie sich an ihm vorbei.

Kade warf einen vorsichtigen Blick über die Schulter auf den wartenden Chevrolet Blazer in den Farben der Staatspolizei von Alaska und sah zu, wie Alex zu ihm hinüberging. „Hi, Zach. Was ist los? Ich dachte, Jenna ist bei dir.“

„Sie ist eben gegangen. Hat gesagt, du wärst noch bei Pete's, also dachte ich, ich schau mal vorbei und trink ein Bier mit dir.“ Im kalten Wind drang Tuckers Stimme bis zu ihm hinüber. „Was zum Teufel machst du hier draußen? War da jemand bei dir?“

„Nein, niemand“, sagte sie. Kade spürte ihn eher, als dass er ihn sah, den schnellen Blick über die Schulter, den Alex in den Schatten warf, wo er stand.

„Ich wollte eben gehen. Fährst du mich heim?“

„Na klar, steig ein“, sagte Zach Tucker, und Alex öffnete die Tür und kletterte hinein.

Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte Kade die Lust nieder, die immer noch durch ihn tobte, und sah, wie sie die Tür schloss und mit dem Mann davonfuhr. Im lässigen Ton des Troopers hatte er Unaufrichtigkeit gewittert, und so wie es aussah, war Zach Tucker nicht der einzige Mann in Harmony, dem jede Entschuldigung recht war, um mit der sexy Alexandra Maguire zusammen zu sein und gute Karten bei ihr zu haben. Kade hatte einen sehr starken Impuls, ihr nachzugehen, ob sie nun froh gewesen war, ihm zu entkommen, oder nicht.

Aber wenn er etwas brauchte, um sich von dieser Idee abzulenken, bekam er jede Menge davon, denn nun flog mit einem Knall die Tür der Kneipe auf, und Skeeter Arnold und drei seiner Kifferfreunde kamen heraus.

Kade beobachtete sie, alles junge Männer Mitte zwanzig, und lächelte zufrieden, als die Gruppe sich zerstreute und Skeeter allein stehen blieb, während seine Freunde in einem praktisch schrottreifen Ford davonfuhren.

Als Skeeter auf den Parkplatz hinter dem Haus zuging, schlich Kade aus dem Schatten, um ihm nachzugehen. Den würde er sich jetzt zur Brust nehmen und ihm zeigen, was passierte, wenn man Vampire anpisste...

Aber kaum hatte Kade zwei Schritte zu dem Arschloch getan, flammte auf dem Parkplatz ein Paar Autoscheinwerfer auf, und ein schwarzer Hummer rollte hinter Skeeter Arnold heraus. Der Wagen glänzte unter der schummrigen Parkplatzbeleuchtung, und verglichen mit den anderen Schrottmühlen, die bei Petes geparkt waren, hätte Kade sein linkes Ei verwettet, dass der Fahrer nicht aus dem Ort war. Als der Geländewagen langsamer wurde und im Schritttempo neben Skeeter herrollte, der schließlich stehen blieb und seinen Kopf in das offene Beifahrerfenster steckte, stellten sich Kades Nackenhaare auf.

Was zur Hölle wollte einer, der solche dicken Schlitten fuhr, mit so einem mickrigen Kleinganoven wie Skeeter Arnold? Jemand sagte kaum hörbar etwas zu dem Kiffer, worauf der kicherte und eifrig nickte.

„Ja, klar. Für den richtigen Preis könnte mich das durchaus interessieren“, sagte er, öffnete die Tür und sprang hinein.

„Was zum Henker hast du vor?“, murmelte Kade, als der Wagen davonraste und Schneeklumpen hinter ihm aufspritzten.

Wie auch immer die Transaktion zwischen Skeeter Arnold und seinem neuen Geschäftspartner ablaufen würde - Kade hatte so ein Gefühl, dass der kleine Dealer sich hier mit Leuten anlegte, die ein paar Nummern zu groß für ihn waren.

 

Ein leise zischender Hitzeschwall und ein sentimentaler alter Countrysong drangen aus dem Armaturenbrett von Zachs Polizeiauto, als Alex im Rückspiegel zusah, wie Petes Parkplatz hinter ihr in der Dunkelheit verschwand. „Danke fürs Mitnehmen, Zach.“

„Kein Problem. Ich wollte sowieso noch los, Eier und scharfe Sauce einkaufen.

Das Frühstück der Sieger, wie du weißt. Und was alleinstehende Cops über fünfunddreißig so essen, die keine Ahnung von gesunder Ernährung haben.“

Alex lächelte ihm höflich zu, als sie die kurze Strecke zu ihrem Haus fuhren.

Davon abgesehen, dass sie sich wie eine Idiotin vorkam, weil sie vor Kade davongelaufen war, fühlte sie bodenlose Erleichterung. Das war wirklich Rettung in allerletzter Minute gewesen. Sie hatte weiß Gott eine gebraucht, bevor sie noch in Versuchung kam, da draußen im Freien zwischen den Pick-ups und Schneemobilen noch mehr mit ihm anzustellen.

Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, sich von einem Wildfremden dermaßen anbaggern zu lassen? Sie war doch sonst nicht der Typ, der sich von Männern mit leeren Schmeicheleien oder grabschenden Händen rumkriegen ließ - und bei einer jungen, unverheirateten Frau im Hinterland von Alaska hatten das weiß Gott einige versucht.

Nur dass es sich mit Kade eben nicht wie ein Spiel oder eine schnelle Nummer angefühlt hatte, so routiniert in der Kunst der Verführung er auch zu sein schien. Und obwohl sie ihn, bevor er gestern hier aufgetaucht war, noch nie im Leben gesehen hatte, musste sie zumindest sich selbst gegenüber zugeben, dass er sich für sie alles andere als fremd anfühlte.

Kade schien sie zu kennen - sie auf einer Ebene zu verstehen, die sie verblüffte.

Als wäre er fähig, tief in sie hineinzusehen, selbst in die dunklen Ecken, in die nicht einmal sie selbst sich hineinwagte - und das war es, was ihr an ihm am meisten Angst machte.

Dieses entnervende Gefühl war der Grund, weshalb sie ihm heute Nacht so verzweifelt hatte entkommen wollen.

„Trautes Heim, Glück allein“, unterbrach Zach ihre Gedanken und ließ den Wagen vor ihrem verwitterten Holzhaus ausrollen. „Jenna hat dir wahrscheinlich schon gesagt, dass in ein paar Tagen die Einheit der Staatspolizei aus Fairbanks hier aufkreuzt.“ Als Alex nickte, legte er seinen rechten Arm auf ihre Rückenlehne und beugte sich etwas näher an sie heran.

„Ich weiß, das kann nicht leicht für dich sein. Hölle noch mal, ist es für mich ja auch nicht. Ich habe Wilbur Toms und seine Familie seit Jahren gekannt. Ich weiß nicht, wie ihnen so was Schreckliches passieren konnte. Aber die Wahrheit wird herauskommen, Alex. Verlass dich drauf.“

Zachs Gesicht, die eine Hälfte angestrahlt von der Armaturenbrettbeleuchtung, wirkte beunruhigt, auf der Hut. Und nach ihrer Nummer bei der Bürgerversammlung war es kein Wunder, wenn seine Bulleninstinkte ihm sagten, dass sie ihm etwas verheimlichte.

„Alex, wenn es noch irgendwas gibt, woran du dich beim Tatort erinnerst, musst du's mir sagen, okay? Was auch immer. Ich wüsste gern, dass wir im selben Boot sitzen, wenn die Einheit aus Fairbanks hier ankommt und anfängt, sich hier in der Stadt groß aufzuspielen.“

„Klar“, murmelte sie. „Klar, Zach. Wenn mir noch irgendwas einfällt, sag ich's dir sofort.“

Selbst als sie es sagte, wusste sie, dass sie die Spur im Schnee nicht mehr ansprechen würde und genauso wenig die Angst, die ihr so tief in den Knochen saß - dass etwas Entsetzliches da draußen in der eisigen Wildnis sein Unwesen trieb, nicht weit entfernt von dort, wo sie jetzt saßen. Und dass dieses Ding, vor dem sie solche Angst hatte, alle Grausamkeiten übertraf, die Menschen oder Tiere anrichten konnten. Es war monströs. Und es würde sich von Zach Tucker oder einer Truppe Staatspolizisten nicht aufhalten lassen, und Alex würde verdammt noch mal versuchen, das alles schleunigst zu vergessen.

Genau wie das, was vor so langer Zeit in den Sümpfen von Florida geschehen war. Es war am besten, das alles einfach loszulassen, es tief zu vergraben und weiterzumachen.

Oder wegzuziehen.

Wegzurennen.

„Schlaf gut“, sagte Zach, als sie aus dem Blazer kletterte und die Beifahrertür schloss. „Du kannst mich jederzeit anrufen, hörst du?“

Sie nickte. „Danke, Zach. Und noch mal danke fürs Heimfahren.“

Er warf ihr ein schnelles Lächeln zu, das schon wieder verschwunden war, bevor er den Gang einlegte und davonfuhr. Als Alex auf die Tür des alten Hauses zuging, in dem sie mit ihrem Vater gewohnt hatte, seit sie dieses verängstigte, entwurzelte kleine Mädchen gewesen war, wurde ihr Impuls, einfach alles stehen und liegen zu lassen und wegzurennen, nur noch stärker. Es wäre so viel einfacher, ihre Erinnerungen hinter sich zu lassen. Ein Neuanfang wäre die beste Methode, sich von den Ängsten zu befreien, die sie so hartnäckig verfolgten und die jetzt zurückgekommen waren, düsterer und schrecklicher als je zuvor.

Solchen Schrecken konnte sie nicht noch einmal ertragen.

Auch durfte sie sich nicht einreden lassen, dass irgendjemand - selbst ein Mann wie Kade - gegen dieses Grauen eine Chance hatte. Sich mit ihm einzulassen war das Letzte, was sie brauchte. Doch das hielt sie nicht davon ab, sich zu fragen, was er jetzt von ihr dachte. Und sie hätte sich auch wenigstens entschuldigen können, bevor sie ihn so in der Kälte stehen gelassen hatte. Sie versuchte, nicht daran zu denken, wie perfekt sein elektrisierend heißer Mund auf ihren passte und wie ihr Herz immer noch raste, ihr Magen sich immer noch zu einem erregten Knoten zusammenzog beim Gedanken, in seinen Armen zu sein. Sie versuchte, sich nicht vorzustellen, was womöglich passiert wäre, wenn Zach nicht gerade in dem Moment vorbeigekommen wäre. Aber es fiel ihr verstörend leicht, sich Kade mit ihr selbst vorzustellen - nackt zusammen in ihrem Bett oder auch völlig hemmungslos mitten auf Pete's Parkplatz in ihren Kleidern, weil sie es nicht mehr so weit schafften...

„Oh, gar nicht gut“, murmelte sie leise, als sie die Tür öffnete und hineinging.

Luna leckte ihr begeistert das Gesicht zur Begrüßung und wedelte glücklich mit dem Schwanz. „Ich weiß, Luna, ich weiß ... ich bin zu spät. Tut mir leid, Liebes. Es war auch für mich ein langer Tag. Na komm, versorgen wir dich erst mal.“

Alex ließ den Hund hinters Haus, um sein Geschäft zu machen, dann füllte sie den Napf mit Hundefutter und frischem Wasser. Als Luna wieder im Haus war und ihr Trockenfutter hinunterschlang, zog Alex auf dem Weg ins Badezimmer Anorak und Kleidung aus, um sich eine schon überfällige, aber dafür lange und heiße Dusche zu gönnen.

Der heiße Wasserstrahl auf ihrer nackten Haut tat nichts, um die Hitze von Kades Kuss zu löschen, die nicht vergehen wollte. Sie seifte sich ein und versuchte, sich daran zu erinnern, wie lange es her war, dass sie einem Mann erlaubt hatte, mit seinen Händen genüsslich über ihren nackten Körper zu streichen. Wie lange war es her, dass sie mit jemandem im Bett gewesen - und wirklich vertraut gewesen war? Der eine schwache Moment mit Zach ein paar Wochen nach dem Tod ihres Vaters zählte eigentlich nicht. Das war nur eine Nacht gewesen, eigentlich nur ein paar Stunden. Sie war ein emotionales Wrack gewesen und hatte einfach nur jemanden gebraucht, um das alles wenigstens für eine kurze Weile hinter sich zu lassen.

War es das, was sie mit Kade machte? War sie dabei, sich an ihn zu klammern, fantasierte sie sich etwas zwischen ihnen zusammen, das eigentlich gar nicht da war - gar nicht da sein konnte -, nur weil sie gerade wieder ein Trauma durchmachte?

Vielleicht war das wirklich alles, ein Gefühl, gerade allein und verloren zu sein und auf der Suche nach einem sicheren Hafen. Heute Nacht hatte Kade ihr gesagt, dass sie bei ihm sicher war. Während sie ihm das auf einer tiefen, instinktiven Ebene auch glaubte, wusste sie genauso gut, dass das Feuer, das er mit nur einem Kuss in ihr entfacht hatte, sich alles andere als sicher anfühlte. Sich mit ihm einzulassen war vielleicht das größte Risiko, das sie jemals eingegangen war. Er sah zu tief in sie hinein, wusste zu viel. Und heute Nacht hatte er zu viele Gefühle in ihr geweckt.

Mit einem Stöhnen beugte Alex sich in der engen Duschkabine nach vorne, stemmte den Unterarm gegen die glatten Kacheln und ließ den Kopf auf den Arm sinken, als das heiße Wasser über ihren Körper spritzte. Sie schloss die Augen, und Kade war da. Sein auffallendes Gesicht, das wie gemeißelt wirkte. Seine hellen, durchdringend intensiven Augen. Die Hitze in ihr war immer noch da. Alex flüsterte seinen Namen, als sie mit der freien Hand hinunterfasste und sich so berührte, wie sie sich danach sehnte, von ihm berührt zu werden.

Sie entspannte sich in einem Zustand seliger Resignation und ließ das heiße Wasser, den Dampf und die Gedanken an ihn alles andere fortspülen.

Lara Adrian- 07- Gezeichnete des Schicksals
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